Mo 7. März 2016 (Bildungs- und Gästehaus)

Das Unwort vom „Wutbürger“ macht die Runde angesichts der vermeintlich unübersehbar großen Zahl fremder Menschen, die bei uns Schutz suchen, man spricht von Bedrohung. Die Freude darüber, dass sich Deutschland als Gastland präsentiert und Ankommenden zuerst einmal die Willkommenshand entgegenstreckt, erlahmt.

Zumindest möchte man uns das alles glauben machen, markige Schlagworte ersetzen wie immer zu Wahlkampfzeiten die gewissenhafte und überlegte Auseinandersetzung mit den eigentlichen Herausforderungen.

Auf der Strecke bleiben dabei einmal mehr die ohnehin Leidtragenden, die vieles oder gar alles aufgeben mussten, nicht aber das uneingeschränkte Recht auf menschliche Solidarität und konkrete Hilfeleistung. Zunehmend geraten flüchtende Menschen in Misskredit, als ob das Verlassen der angestammten Heimat eine Wahlmöglichkeit wäre wie der Kauf dieses oder jenes Autos.

Wer sich ernsthaft mit diesen Menschen, mit den Ursachen und den Folgen von Flucht und Vertreibung auseinandergesetzt hat, weiß um die oft Generationen andauernden Nachwirkungen des Erlebten. Wie gut, wenn da Mitmenschen zur Stelle sind, denen vor allem daran liegt, das erfahrene Leid nicht noch größer zu machen. Schutzsuchende brauchen eben zuallererst Schutz, nicht das vom je einzelnen Schicksal ablenkende, unserem Grundgesetz und der Genfer Flüchtlingskonvention zuwiderlaufende Gezeter um Obergrenzen und die Effizienz unserer Abwehrmechanismen.

Nicht nur aus dem ohnehin rechten Lager lassen sich lautstark diejenigen vernehmen, die die Glut vorhandener Ängste kräftig schüren, und wie immer steht das Ausnutzen dieser Befürchtungen einem fruchtbaren und ernsten Bearbeiten der Herausforderungen im Weg.

Es hat fast schon den Anschein, als stünden die ungezählten Engagierten, ohne die kein staatliches Gemeinwesen wirklich funktionieren kann, auf der Gegenseite der öffentlichen Meinung, als wären sie Kollaborateure einer Überfremdung unserer womöglich christlichen Kultur.

Ist Helfen noch mehrheitsfähig? Oder, noch vorher: Ist der Schutz von Asylsuchenden nicht mehr Konvention? Ist der menschliche Impuls, dem Mitmenschen in Not die Hand zu reichen, nicht mehr das Normale? Und wie steht es um das nüchterne und zugleich beschämende Eingeständnis, dass wir nicht einmal vor unsere eigene Haustür treten müssen, um die Ursachen für die vielen Einzelschicksale in den Krisengebieten unserer Tage zu entdecken? Ist die Übernahme von Mitverantwortung der großen Mehrheit nicht zuzumuten, nur weil ihr die Erfahrung der konkreten Begegnung mit Geflüchteten fehlt?

Wir und viele Engagierte und Hilfswillige der Willkommensinitiative vor Ort sind jetzt schon über ein Jahr mit ebenso vielen geflüchteten Menschen unterwegs. Wir suchen nach Wegen, die eines ermöglichen: das Leben von Menschen! Wir machen gemeinsam Erfahrungen von Ge- und Misslingen, wir werden aber bestärkt durch das Erleben von Bereicherung durch den anderen Menschen, gleich welcher Nationalität, Religion oder Hautfarbe.

Wir haben mit unserem ehrenamtlichen Einsatz nicht die sprichwörtliche „Spielwiese“ gesucht und gefunden, wir sind lediglich aus der Rolle des Zuschauenden in die des verantwortet Handelnden gewechselt. Wir sind nicht gewillt, die Meinungshoheit über das Thema „Schutzbedürftige Menschen“ den Phrasendreschern zu überlassen, schon gar nicht, wenn sie sich angeblich die Rettung eines christlichen Abendlandes auf die Fahnen geschrieben haben.

Unsere Initiative ist aus gemeinsamen Überlegungen der christlichen Kirchen und Gemeinschaften vor Ort erwachsen, die um die Zerbrechlichkeit eines biblisch-christlichen Grundverständnisses angesichts handfester politischer und v.a. wirtschaftlicher Interessen wissen. Ebenso bewusst ist uns aber auch, dass Ausgrenzung, Abweisung und Verweigerung von konkreter Hilfe noch keiner menschlichen Kultur zum Segen geworden ist.

Gerade von Seiten der politisch Verantwortlichen erwarten wir eine sachlich korrekte wie der Geschichte unseres Landes angemessene Art des Redens und Handelns angesichts der Herausforderung, in der wir stehen. Wir erwarten eine ernsthafte Debatte und Bekämpfung anhaltender und künftiger Fluchtursachen und Krisenverstärker, die im Zusammenhang mit unserem Konsumverhalten und unserer Wirtschafts-, Rohstoff- und Rüstungspolitik stehen, sodass Menschen erst gar nicht aus ihrer Heimat fliehen müssen. Auch sollten Ausschreitungen und Übergriffe einzelner Fremder in unserem Land nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Vergangenheit und Gegenwart Vergehen jeglicher Art von Menschen auch unserer Nationalität und Religion begangen wurden und werden. Hier darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.

Wir bauen darauf, dass die Mehrheit unserer MitbürgerInnen durchaus in der Lage ist, die wirklichen Bedrohungen unserer Gegenwart wahrzunehmen, allen voran den globalen Klimawandel, der das Potential mit sich bringt, für noch weitaus größere Fluchtbewegungen auf unserem Planeten zu sorgen. Eine Polarisierung unserer Gesellschaft sowie innerhalb Europas wird uns vor diesem Hintergrund ebenso wenig nützen wie den Kopf in den Sand zu stecken. Als Menschen der einen Erde ist unsere Solidarität gefragt – und unsere Bereitschaft zu Selbstkritik und Veränderung.

Pfarrer Gerd Götz
Evangelische Gemeinde
Vallendar

P. Rüdiger Kiefer SAC
Katholische Gemeinde
Vallendar

P. Jörg A. Gattwinkel SAC
Haus Wasserburg
Vallendar


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